Tunesien ist ein Land im agrarischen und wirtschaftlichen Wandel – mit großem Potenzial für Fleckvieh. Im Norden Afrikas gelegen, zählt Tunesien rund zwölf Millionen Einwohner und ist flächenmäßig etwa doppelt so groß wie Österreich. Die Landwirtschaft trägt mit rund 10 Prozent zum BIP bei und sichert in den ländlichen Regionen Beschäftigung. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung sind in der Urproduktion tätig. Die klimatischen Bedingungen reichen von mediterran im Norden bis hin zu arid im Süden.
Grünes Gold und Herausforderungen der Milchwirtschaft
Tunesien ist einer der weltweit führenden Exporteure von Olivenöl, das im Land auch „grünes Gold“ genannt wird. Auch Datteln, Zitrusfrüchte und Fischereiprodukte sind wichtige landwirtschaftliche Exportgüter. Tunesien ist aber auch ein Land der Milchtrinker. Bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 115 Kilogramm jährlich liegt der Eigenversorgungsgrad unter 100 Prozent. Auch für den Tourismus – mit rund 10 Millionen Gästen jährlich ein starker Wirtschaftsfaktor – wird eine Ausweitung der Produktion vom Staat als strategisch wichtig angesehen. Milch wird überwiegend auf kleinstrukturierten Familienbetrieben mit begrenztem Zugang zu moderner Technik erzeugt. Rund 80 Prozent der Milchlieferanten halten weniger als 10 Kühe.
Tunesien – die Landschaft ist geprägt von Getreidefeldern und Olivenbäumen
In den letzten Jahren war die Milchproduktion rückläufig. Ursache dafür ist ein staatlicher Preisdeckel bei gleichzeitig gestiegenen Futterkosten und Inflationsdruck. Die Produktion wurde so für viele Betriebe mit lokalen, leistungsschwachen Rassen unwirtschaftlich. Aktuell plant die Regierung die Wiederbelebung des Milchsektors und unterstützt diesen mit einem Förderprogramm, das den Ankauf von Zuchtrindern durch Direktzuschüsse und zinsfreie Kredite ermöglicht.
Fleckvieh als Teil der staatlichen Strategie
2022 ist es auf Initiative der Firma Schalk gelungen, erstmals Fleckvieh aus Österreich als anerkannte Milchrasse in diese staatlichen Programme zu integrieren, woraufhin seither rund 400 Fleckviehtiere aus Österreich in Kooperation mit dem tunesischen Partnerunternehmen Isolab importiert wurden.
Zukunftsvision nach österreichischem Vorbild
Isolab ist ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen, spezialisiert auf Stallbau, Melktechnik und Labortechnologie, dessen Ziel es ist, ein Rinderkompetenzzentrum in Tunesien aufzubauen. Hierzu wird auch eine enge Vernetzung mit der Molkereiwirtschaft betrieben. Isolab setzt in dieser Strategie voll auf Fleckvieh aus Österreich. Neben Bau- und Technikberatung soll den Kunden auch Management- und Fütterungskompetenz vermittelt werden. Mittelfristig wird auch der Aufbau einer Verbandsstruktur für Fleckvieh angestrebt.
Isolab setzt auf Begleitung der Betriebe in Zucht und Management
Staatliche Förderung mit Langzeitperspektive
Das geltende Recht in Tunesien besagt, dass importierte Zuchtrinder mindestens fünf Jahre am Betrieb verbleiben müssen. Zusätzlich werden weibliche Nachkommen dieser Zuchtrinder gestaffelt gefördert – bei Geburt, in der Aufzucht und zur ersten Kalbung. Diese Anreizsysteme zeigen, dass der Staat auf langfristige Steigerung der Produktivität und der nachhaltigen Entwicklung von leistungsfähigen Rinderbeständen setzt.
Austausch auf höchster Ebene
Im Zuge der Reise fand auch ein Treffen mit Dr. Stephan Vavrik, dem österreichischen Botschafter in Tunesien statt. Bei dem Austausch wurde das gegenseitige Interesse an einer intensiven Zusammenarbeit beider Länder rund um das österreichischen Premiumprodukt Fleckvieh bekräftigt.
Austausch in der österreichischen Botschaft in Tunis
Bei einem Gespräch mit dem Generaldirektor der staatlichen Stelle für die genetische Verbesserung der Rinderbestände wurde ein klares Interesse am Import von Fleckvieh als interessante Alternative zu einseitigen Milchrassen signalisiert. Die Milchproduktion in Tunesien basiert auf rund 360.000 Kühen, verteilt auf etwa 80.000 Lieferanten – mit Holstein als klar dominierender Rasse mit etwa 80 Prozent im Land. Etwa 65 Prozent der Kühe werden künstlich besamt. Der Staat organisiert die Rinderkennzeichnung und führt eine zentrale Datenbank, wodurch alle importierten Zuchtrinder registriert sind und nachvollziehbar ist, auf welchen Betrieben diese produzieren. Ebenfalls wird eine einfache Form der Leistungsprüfung angeboten. Diese basiert auf Freiwilligkeit und ist für die Betriebe kostenlos. Aktuell sind etwa 5 Prozent der Betriebe diesem System angeschlossen. Rindfleisch ist in Tunesien mit aktuell rund 9 Euro pro Kilogramm Karkasse ein teures Gut und im täglichen Einkauf nur für die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten leistbar. Das durchschnittliche Monatseinkommen im Land beträgt aktuell rund 350 Euro.
Molkereiwirtschaft als Partner
Bei einem Treffen mit Vertretern der Molkerei Delice, die über 70 Prozent Marktanteil bei Frischmilch, Joghurt und Frischkäse in Tunesien hält, informierte Geschäftsführer Reinhard Pfleger über die Vorzüge von Fleckvieh aus Österreich.
Auch Delice ist speziell wegen der Vorzüge in der Milchqualität und den Milchinhaltsstoffen an Fleckvieh interessiert und gewährt seinen Lieferanten zinsfreie Rückzahlungsmodelle beim Ankauf.
Molkereien zeigen Interesse an Milch aus Fleckvieh-Kühen
Fleckvieh muss sich beweisen
Alle importierten Zuchtrinder müssen eine verpflichtende Quarantäne von 50 Tagen mit Gesundheitschecks und Impfungen durchlaufen, bevor sie in die Betriebe gehen.
Quarantäneeinheit in Tunesien mit österreichischen Kalbinnen
Im Rahmen des Besuchs in Tunesien konnten auch zwei landestypische Betriebe besichtigt werden, die bereits Fleckvieh aus Österreich importiert haben. Besonders eindrucksvoll war der Besuch der Labidi-Farm nahe Tunis, die rund 80 Milchkühe hält. Vor drei Jahren wurden erstmals zehn Fleckviehkalbinnen aus Österreich gekauft. Diese nunmehrigen Fleckviehkühe stehen in täglichem Vergleich zu Holstein- und Montbéliard-Kühen aus Frankreich. Trotz leicht geringerer Milchmenge überzeugen die Fleckvieh-Tiere den Besitzer mit guten Inhaltsstoffen, stabiler Euter- und Klauengesundheit und robustem Stoffwechsel.
Fleckvieh aus Österreich muss sich gegenüber Holstein und Montbéliard beweisen
Starke Fleckviehkuh (Hochhinaus x Mint) trockenstehend zum 3. Kalb aus dem Zuchtgebiet von NÖ-Genetik auf der Labidi-Farm
Fleckvieh aus Österreich punktet mit Resilienz
Bei den Betriebsbesuchen standen die Tiere mit AT-Ohrmarken natürlich besonders im Fokus. Die ältesten identifizierten Fleckvieh-Kühe aus Österreich stammen aus dem Geburtsjahrgang 2020.
Fleckvieh als Hoffnungsträger für eine nachhaltige Entwicklung
Tunesien zeigte sich als westlich orientiertes Land mit Offenheit gegenüber internationaler Zusammenarbeit. Die staatlichen Stellen erkennen in Fleckvieh aus Österreich eine Zukunftsrasse für die speziellen Anforderungen im Land. Die getätigten Gespräche und die besuchten Betriebe bestätigen die realistische Chance, dass ab Herbst 2025 ein größerer Umfang an Fleckviehgenetik aus Österreich nach Tunesien exportiert werden kann. Die Kooperation des österreichischen Zuchtrinderexporteurs Schalk mit Isolab als verlässlichem Partner vor Ort ist ein zukunftsweisendes Modell. Isolab verfolgt das klare Ziel, neben Zuchtrindern und Sperma auch Know-how in Fütterung und Management in laufender Begleitung der Betriebe anzubieten. Fleckvieh Austria wird im Rahmen seiner Möglichkeiten diese Kooperation und deren Entwicklung bestmöglich unterstützen.
Autor: Ing. Reinhard Pfleger, Fleckvieh Austria