Single-Step: Das Genomik-Upgrade

Der April 2021 markiert für die gemeinsame Zuchtwertschätzung (ZWS) in Österreich, Deutschland und Tschechien ein historisches Datum. Zehn Jahre nach deren Einführung heben wir die Genomische Selektion beim Fleckvieh mit der Einführung der Single-Step-Methodik auf eine neue Stufe. Mit diesem Artikel wollen wir Sie mit dem neuen Verfahren vertraut machen und einen Überblick über die daraus ableitbaren Änderungen in den Zuchtwerten geben.

Fleckviehherde auf der Frühlingsweide, Foto: Reith

Als wir im August 2011 die genomische ZWS eingeführt haben, war die Typisierung mit € 200 vergleichsweise teuer. Daher hat man sich beim Aufbau der Genomik-Lernstichprobe auf die informativsten Tiere, die geprüften Altstiere, konzentriert. Aus der Lernstichprobe wird über die Beziehung zwischen Leistung und Genotyp jene Information abgeleitet, aus der Genomzuchtwerte für Jungtiere geschätzt werden können. Als Leistungsdaten für Altstiere wurden umweltkorrigierte, durchschnittliche Leistungen von Töchtern bzw. bei Fleischleistungsmerkmalen von Söhnen herangezogen. Diese kommen aus einer vorgelagerten konventionellen ZWS, was erklärt, warum dieses Schätzsystem auch als Two-Step („Zwei-Schritt“) Methodik bezeichnet wird.

Im Single-Step („Ein-Schritt“) kommt es nun zur Verschmelzung der konventionellen mit der genomischen Schätzung in einem Verfahren. Dies wird über die gemeinsame Betrachtung der Verwandtschaftsbeziehungen für alle Tiere bewerkstelligt, wobei Verwandtschaften für typisierte Tiere (aktuell 335.000 Tiere) aus Markerinformationen gerechnet werden, während Verwandtschaften zwischen untypisierten Tieren (bis zu 32 Mio. Tiere) weiterhin vorwiegend aus der Abstammungsinformation abgeleitet werden. Spannend sind Verwandtschaften zwischen diesen beiden Tiergruppen, da es hier zur Kombination der Verwandtschaft aus Marker- und Abstammungsinformation kommt. Dies ermöglicht einen Informationsrückfluss von typisierten Nachkommen auf untypisierte Vorfahren, wodurch auch untypisierte Tiere vom Informationszuwachs profitieren (z.B.: teils deutliche Anstiege der Zuchtwertsicherheiten von untypisierten Müttern mit mehreren typisierten Kälbern).
Der entscheidende Faktor der Überlegenheit vom Single-Step-Verfahren ist jedoch die Tatsache, dass hier nicht mehr nur geprüfte Altstiere, sondern alle typisierten Tiere mit Leistung unmittelbar in die Lernstichprobe einbezogen werden. Tabelle 1 gibt eine Aufstellung zur Anzahl von typisierten Tieren, die im Single-Step bereits mit einer Eigenleistungsinformation in die Zuchtwertschätzung eingehen. Je nach Merkmal sind dies zwischen 286.000 (beim Vitalitätswert) und 36.000 Tiere (bei Zysten). Insgesamt sind die Datenmengen, die bei Fleckvieh einbezogen werden, überaus beeindruckend. Aktuell sind dies mehr als 13.500.000.000 (13,5 Mrd.) Marker-Genotypen mit stark wachsender Tendenz.

Worin bestehen die Stärken des neuen Zuchtwertschätzverfahrens?

  • Das neue Verfahren erzielt für alle typisierten Tiere höhere ZW-Sicherheiten, da nun wesentlich mehr Information für die Vorhersage genutzt wird. Besonders profitieren natürlich Stiere mit ersten Töchterleistungen, aktuell aus den Geburtsjahrgängen 2015 und 2016. Bei diesen Tieren kommt nun die Genotypen-Information von teilweise hunderten Töchtern mit Eigenleistung hinzu. Dies ermöglicht genauere Genomzuchtwerte, aber auch eine feinere „Auflösung“ hinsichtlich der züchterischen Wertigkeit von Erbgutabschnitten („Haplotypen“), die diese Stiere tragen. Nachkommen dieser Stiere, aber auch alle anderen typisierten Tiere, die diese Haplotypen ebenfalls aufweisen, profitieren somit ebenfalls von der Information aus typisierten Töchtern. Das hat zur Folge, dass der Informationszuwachs nicht auf einer Stierfamilie isoliert bleibt, sondern Auswirkungen auf nahezu die gesamte typisierte FV-Population hat. Das macht es freilich im Einzelfall schwierig, den Ursprung von Zuchtwertänderungen nachzuvollziehen.
  • Für direkte Gesundheitsmerkmale (frühe Fruchtbarkeitsstörungen, Zysten und Mastitis) gab es bisher noch keine Genomzuchtwerte, da noch zu wenige Altstiere ausreichende Töchterinformation aufwiesen. Die direkte Berücksichtigung von typisierten Kühen auf Betrieben mit valider Gesundheitsdatenbeobachtung in der Lernstichprobe macht es nun möglich, Single-Step-ZW für diese Merkmale anzubieten.
  • Single-Step stellt für „neue Merkmale“, bei denen Leistungsdaten aus nur wenigen Jahrgängen vorliegen, generell die Methode der Wahl zur genomischen ZWS dar. Dies wird noch heuer das Merkmal Melkverhalten und in den nächsten Jahren die Klauengesundheit und den Bereich Stoffwechsel betreffen.

Umstellungen in der ZWS – immer eine bittere Pille für Züchter

Die Einführung von Single-Step stellt eine der massivsten Umstellungen in der Zuchtwertschätzung der letzten Jahrzehnte dar. Zuchtwertänderungen betreffen verstärkt junge Jahrgänge und können durchaus 10 Zuchtwertpunkte und mehr betragen. Da praktisch jedes Merkmal, mit Ausnahme von Persistenz und Leistungssteigerung, von der Umstellung betroffen ist, sind die Auswirkungen auf den Gesamtzuchtwert ganz erheblich. Das Merkmal Leistungssteigerung wird voraussichtlich im August auf die neue Methodik umgestellt, Persistenz nicht vor Dezember 2021.

Die teils großen ZW-Änderungen sind so zu erklären:

  • Massiver Datenzuwachs durch die Hinzunahme von bis zu 286.000 Genotypen mit Eigenleistung in die Lernstichprobe
  • Vielzahl von Anpassungen in der Schätzmethodik durch Single-Step
  • Erstmals genomische ZWS für direkte Gesundheitsmerkmale
  • Viele, teils massive Umstellungen in den konventionellen Schätzmodellen, insbesondere bei der Nutzungsdauer und bei der Fleisch-ZWS

Ein großer Schritt vorwärts in der Zucht

Die Einführung von Single-Step ist der vorläufige Abschluss eines umfangreichen Prozesses zur Verbesserung der Genomischen Selektion. Dieser Prozess hat in Österreich mit dem Herdentypisierungsprojekt FoKUHs begonnen, in Bayern und Baden-Württemberg sind die Projekte Braunvieh-Vision, FLEQS und Fleckficcient zu nennen. Durch die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand, aber auch die Initiative der Züchter sind in den letzten Jahren gewaltige Zahlen von weiblichen Tieren typisiert worden. Aktuell wird in Österreich bei Fleckvieh etwa jede 10. Kalbin bzw. Erstkalbskuh in der Herdebuchzucht genotypisiert.

Mit Single-Step haben wir uns jetzt daran gemacht, die Ernte einzufahren. Unser Ziel ist es, die genomische Selektion zum züchterischen Standardwerkzeug auf den Betrieben zu machen. Sie sollen damit noch besser als bisher in die Lage versetzt werden, leistungsstarke und robuste Kühe zu züchten.

Wir bedanken uns herzlich beim Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus für die Unterstützung des Projekts FoKUHs, über das auch die Entwicklung der Single-Step-Methodik in Österreich mitfinanziert wurde.

Dr. Hermann Schwarzenbacher, Dr. Christian Fürst, Dipl.-Ing. Judith Himmelbauer, ZuchtData Wien für das ZWS-Team DE-AT-CZ