Tierwohl: Möglichkeiten der genetischen Verbesserung

Die öffentliche Tierwohl-Diskussion betrifft bisher meist besonders die Geflügel- und Schweinehaltung, macht aber auch vor der Rinderwirtschaft nicht halt. Dabei geht es allerdings häufig um Themen wie Tiertransporte oder Haltungsformen, die nicht unmittelbar mit der Zucht zu tun haben. Nichtsdestotrotz gibt es aber eine Reihe von Tierwohl-relevanten Themen, die unmittelbar von der Zucht beeinflusst werden können. In diesem Beitrag soll aufgezeigt werden, was die Zucht in Richtung Verbesserung des Tierwohls bisher beigetragen hat und an welchen weiteren Bereichen gearbeitet wird. Im Mittelpunkt steht dabei der umfangreiche Bereich der Zuchtwertschätzung (ZWS).

Zuchtwerte für mehr Tierwohl

Über viele Jahrzehnte ging es in der Rinderzucht fast ausschließlich um Produktionsmerkmale wie Milch und Fleisch. Die dabei erzielten Fortschritte aufgrund von deutlichen Verbesserungen im Management, aber auch durch züchterische Maßnahmen sind beachtlich. Da hohe Milchleistungen nur von weitgehend gesunden Kühen erzielt werden können, spielte dabei das Wohlbefinden der Tiere zumindest indirekt auch eine Rolle.

Aus Sicht der ZWS stand, auch mangels an Daten für andere Merkmale, über viele Jahrzehnte die Milchleistung im Vordergrund. Im Jahr 1963 wurde eine erste Form einer Milch-ZWS in Österreich eingeführt, erst 1992 kam mit der Persistenz (Laktationskurvenverlauf) das erste Fitness-Merkmal in der ZWS dazu. In den Jahren danach folgten zahlreiche weitere Merkmale aus dem Fitness- und Gesundheitsbereich. Mit der Einführung des Gesamtzuchtwerts (GZW) im Jahr 1998 haben die Fitnessmerkmale schlagartig an Bedeutung im Zuchtgeschehen gewonnen.

Lebensleistung verdoppelt

Die Nutzungsdauer der Milchkühe ist häufig von Management- oder Selektionsentscheidungen beeinflusst, allerdings spielt auch der Abgang aufgrund von Tierwohl-relevanten Erkrankungen oder Verletzungen eine große Rolle. Die Entwicklung der durchschnittlichen Nutzungsdauer umfasst daher zahlreiche züchterische und nicht-züchterische Aspekte. Die Nutzungsdauer war u. a. durch den negativen genetischen Zusammenhang zur Milchleistung lange Zeit leicht rückläufig, ist allerdings in den letzten 20 Jahren wieder leicht, aber kontinuierlich angestiegen und liegt aktuell im Schnitt bei fast 4 Jahren. In Kombination mit der gestiegenen Milchleistung pro Laktation ergibt das eine massive, fast lineare Steigerung der Milchlebensleistung (Abb. 1). In den letzten 20 Jahren ist die Lebensleistung um mehr als 10.000 kg gestiegen, seit 1980 hat sie sich sogar mehr als verdoppelt.

Abb. 1: Entwicklung der Lebensleistung der Fleckvieh-Kühe in Österreich

Für die Persistenz (Laktationskurvenverlauf) werden schon seit 30 Jahren Zuchtwerte ausgewiesen. Auf einem niedrigen Leistungsniveau ist die Persistenz wohl nicht als Tierwohl-relevant zu bezeichnen, bei extremen Spitzenleistungen spielt das Tierwohl allerdings durchaus eine Rolle, da mit einer flacheren Laktationskurve extreme Tagesmilchleistungen mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Kühe reduziert werden können. Außerdem hängt eine flache Laktationskurve auch mit der Fruchtbarkeit, der Stoffwechselstabilität und damit einem längeren Leben der Kühe zusammen.

Beide Merkmale Nutzungsdauer und Persistenz zeigten über längere Zeit eine negative genetische Entwicklung, die allerdings in den letzten Jahren insbesondere bei der Nutzungsdauer ins Positive gedreht werden konnte.

In Abbildung 2 ist der Zusammenhang zwischen dem Nutzungsdauer-ZW des Vaters der Kuh und der durchschnittlichen Abgangslaktation dargestellt. Zwischen den besten und schlechtesten Stieren nach Nutzungsdauer-ZW zeigt sich eine Bandbreite von ungefähr einem Jahr.

Durch entsprechende Stierauswahl lässt sich also die erwartete Nutzungs- und Lebensdauer der Töchter deutlich beeinflussen.

Abb. 2: Zusammenhang zwischen dem Nutzungsdauer-ZW des Vaters der Kuh und der Abgangslaktation beim Fleckvieh

(Auszug aus dem Artikel „Tierwohl: Möglichkeiten der genetischen Verbesserung“ von Dr. Christian Fürst, ZuchtData; Fleckvieh Austria Magazin 4/22)